Ich möchte lieber nicht. Das Unbehagen mit der Organspende und die Praxis der Kritik

Eine soziologische und ethische Analyse (Fortsetzung)

Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Laufzeit: 2018-2020

Bearbeitet von: Dr. Solveig Lena Hansen

Zusammenfassung

Die zentralen Ergebnisse des Projektes von 2014-2016 zeigen vier Typen von Kritik, die keinen direkten Zusammenhang mit den jüngsten Vorkommnissen in der Transplantationsmedizin aufweisen, demgegenüber aber sechs verschiedene moralische Botschaften in den Postern erkennen lassen, die historisch im Zusammenhang mit zentralen Ereignissen und Umbrüchen im Transplantationssystem stehen. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass bestimmte Positionen und Aspekte im öffentlichen Diskurs und in der Gesundheitspolitik selbst keinen Platz finden, mithin sogar ausgeschlossen werden. 

Im Fortsetzungsprojekt soll erstens rekonstruiert werden, über welche Mechanismen im öffentlichen Diskurs und in der Gesundheitskommunikation bestimmte Positionen und Personengruppen systematisch ausgeschlossen werden und welche Konsequenzen dies für die Kritiker/innen mit sich bringt. Zweitens sollen diese Formen und Strategien der Ausschließung normativ reflektiert werden, um Vorschläge für konkrete diskursive Einschlüsse von Positionen zu erarbeiten, die derzeit als „irrational“ deklassifiziert werden. 

Im soziologischen Teilprojekt soll hingegen systematisch untersucht werden, mittels welcher Strategien diese Positionen im alltäglichen ebenso wie im gesundheitspolitischen und fachlichen Diskurs ausgeschlossen und die Betroffenen nicht als Diskursteilnehmer anerkannt werden. Zudem soll aus theoretischer Perspektive gefragt werden, inwiefern auch „irrationale“ Positionen als Argumente verstanden werden können. Insbesondere die analysierte Einseitigkeit der Kampagnen verdeutlicht den Zielkonflikt des Transplantationsgesetzes: Einerseits soll ergebnisoffen über die Organtransplantation informiert werden, andererseits sollen Organtransplantationen gefördert und gesteigert werden. Im Mittelpunkt des bioethischen Teilprojektes steht daher die Frage nach der Deutungshoheit des Diskurses um Organspende: Es analysiert, wie ein normatives Konzept öffentlicher Gesundheitskommunikation ausgestaltet sein sollte, das eine reflektierte Balance zwischen der individuellen Selbstbestimmung und dem kollektiven Interesse an Organtransplantationen herstellt. Deshalb soll einerseits kritisch der Frage nachgegangen werden, was ‚gute‘ Information in einem so sensiblen Bereich umfasst, andererseits sollen moralische Überzeugungen für und gegen Organtransplantationen besser verstanden werden. 

Durch die Weiterentwicklung sozialtheoretischer und normativer Ansätze soll somit zur Reflexion und kritischen Auseinandersetzung mit der hohen symbolischen Wirkung der Organtransplantation für das Selbstverständnis moderner Hightech-Medizin beigetragen werden.

Publikationen

  • Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke (Hg.) (2020): Ethical Challenges of Organ Transplantation. Current Debates and International Perspectives. Bielefeld: transcript. Link
  • Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke (2020): A Conceptual Map of Ethical Issues in Organ Transplantation. In: Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke (Hg.) (2020): Ethical Challenges of Organ Transplantation. Current Debates and International Perspectives. Bielefeld: transcript. Link
  • Hansen, Solveig Lena / Beier, Katharina (2020): Just a phrase? Normative Implications of Trust in Discourses on Organ and Tissue Donation. In: Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke (Hg.) (2020): Ethical Challenges of Organ Transplantation. Current Debates and International Perspectives. Bielefeld: transcript (im Erscheinen).
  • Adloff, Frank / Hilbrich, Iris (2019): Der Organspendediskurs in Deutschland und die diskursive Exklusion von Kritik. In: S. M. Probst (Hg.): Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht, Berlin: Hentrich und Hentrich, 102-116. Link
  • Schicktanz, Silke (2019): Anmerkungen zur Geschichte der Transplantationsmedizin und ihrer ethischen und kulturellen Relevanz. In: O. Ette, U. Wirth (Hg.): Kulturwissenschaftliche Konzepte der Transplantation. Berlin/Boston: De Gruyter, 123-146. Link
  • Böhrer, Annerose (2018): Entscheiden, Ankreuzen, Verfügen – Auf der Spur des Organspendeausweises. In: R. Hitzler et al. (Hg.): Herumschnüffeln, aufspüren, einfühlen. Ethnographie als ‚hemdsärmelige‘ und reflexive Praxis, Essen: Oldib-Verlag, 355-368.
  • Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke (2018): Bilder fürs Leben: Versteckte moralische Botschaften als Reaktion auf die Krise der Organspende. In: A. Esser et al. (Hg.): Die Krise der Organspende – Anspruch, Analyse und Kritik aktueller Aufklärungsbemühungen im Kontext der postmortalen Organspende in Deutschland. Berlin: Duncker & Humblot, 85-114. Link
  • Schaper, Manuel / Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke (2018): Überreden für die gute Sache? Techniken öffentlicher Gesundheitskommunikation und ihre ethischen Implikationen. In: Ethik in der Medizin, 31, 23-44. DOI:10.1007/s00481-018-0507-7

Vorträge

  • Hilbrich, Iris / Hansen, Solveig Lena (2020): Appelle – Ambivalenz – Abwehr: soziologische und ethische Perspektiven auf Organtransplantation in Deutschland, In: Eingriffe in den Körper: Zurückhaltung, Kritik oder Deliberation?, Universität Hamburg.
  • Hansen, Solveig Lena / Wöhlke, Sabine (2020): Imaginierte Beziehungen und die körperliche Verfügbarkeit in der Transplantationsmedizin, In: Ringvorlesung: Verwandtschaft neu denken, Centrum für Geschlechterforschung, Universität Göttingen.
  • Hansen, Solveig Lena (2019): Wie und warum erzählen Gesundheitskampagnen? In: Ringvorlesung: Erzählen, Seminar für Deutsche Philologie, Abteilung Komparatistik, Göttingen.
  • Hansen, Solveig Lena (2019): Ergebnisoffene Aufklärung zur Organspende – eine Bestandsaufnahme und ethische Reflexion. In: Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Hannover.
  • Hansen, Solveig Lena / Beier, Katharina (2019): Public Confidence or Public Acceptance? Reflecting the Role of Trust in Bodily Donations from an Ethical Perspective, In: Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Hannover.
  • Hansen, Solveig Lena / Beier, Katharina (2019): Trust in Organ and Tissue Donation: an Ethical Analysis (Posterpräsentation), In: Konferenz: Kollektivität im Gesundheitswesen: Ethische Theorien und Praxisfelder von Gruppen als Akteuren, Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin, Göttingen.
  • Schicktanz, Silke (2019): Epistemic (In)Justice, Counter Publics and Sceptics in Bioethical Conflicts. In: Engaging the Sceptics - Epistemic (In)justice, Public Participation, and Moral Expertise in Health Discourses, Workshop, Göttingen.
  • Schicktanz, Silke / Hansen, Solveig Lena (2019): To Donate or not to Donate: an Empirical: An Ethical Study of Moral Attitudes to  Organ Donation Posters, In: 5th ELPAT Congress, European Platform Ethical, Legal, and Psychological Aspects of Transplantation, Krakau (Polen). 
  • Hansen, Solveig Lena (2019): Organtransplantation in Deutschland: Eine bioethische Perspektive auf Konflikte, Kampagnen und Kritik, ZONTA Service Club Göttingen.
  • Hansen, Solveig Lena (2019): Distrust in Health Information? Ethical Reflection in Times of Digital Communication, In: Engaging with the Skeptics?! Epistemic (In)justice, Public Participation, and Moral Expertise in Health Discourses, Workshop, Universitätsmedizin Göttingen.
  • Hansen, Solveig Lena (2019): Kampagnen, Konflikte und Kritik: Empirisch-ethische Perspektiven auf Organtransplantation in Deutschland, In: Centre for Ethics and Law in the Life Sciences, Institutskolloquium, Universität Hannover.
  • Adloff, Frank / Hilbrich, Iris (2018): Ja? Nein? Vielleicht? Diskursive Exklusion von Kritik im Organspendediskurs in Deutschland, In: Hirntod und Entscheidung zu Organspende aus interkultureller / interreligiöser Sicht. Multiprofessionelle, interkulturelle Fachtagung, Klinikum Bielefeld (11/2018).
  • Adloff, Frank / Hilbrich, Iris (2018): Diskursive Ausschlüsse von Kritik im Organspendediskurs in Deutschland, In: ,,Und dann haben sie mich mundtot gemacht." Narrative, Unsicherheit und Exklusion in diskursiven Arenen, Workshop, Universität Hamburg (10/2018).
  • Hansen, Solveig Lena (2018): Leerstellen und Kontraste: Websites als diskursive Ressource für Deutungen der Transplantationsmedizin, In: Mulitmodalität und angewandte Ethik, Workshop, Universität Innsbruck am 16. Mai. 2018.
  • Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke (2018): Hauptsache, Sie informieren sich - Ethische Herausforderungen digitaler Gesundheitskommunikation am Beispiel der Organspende, In: Medizin 4.0: Ethik im digitalen Gesundheitswesen, Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin, Köln (09/2018).
  • Hansen, Solveig Lena (2018): Organstransplantation in Deutschland: Eine bioethische Perspektive auf Konflikte, Kampagnen und Kritik, In: Institutskolloquium Devision of Biochemistry, Universität Innsbruck (Österreich).
  • Hansen, Solveig Lena (2018): Mulitmodality as a New Methodology for Applied Ethics, In: Methods in Applied Ethics, Conference of the Department of Philosophy and Religious Studies, NTNU Trondheim, Norway (04/2018).

Presse

  • "Doktorandin der Soziologie forscht zum Thema Organspende", Interview mit Annerose Böhrer am 23. Januar 2020
  • "Dilemma Organspende - Einwände gegen die Widerspruchslösung" mit Solveig Lena Hansen, In: SWR am 02.12.2019
  • ,,Schweigen als Zustimmung. Widerspruchslösungen bei der Organspende" mit Solveig Lena Hansen, In: Deutschlandfunk am 01. September 2019 
  • "Schlagzeilen und Missverständnisse zur Organspende" mit Solveig Lena Hansen, In: Gerechte Gesundheit, November 2018
  • ,,Organtransplantation - Die Lebenden reparieren", In Ethics' Anatomy, Filmreihe der Universitätsmedizin Göttingen 11. Juni 2018
  • ,,Organe gesucht - was tun, wenn Niere, Leber und Herz knapp werden?", In: ,,Die Debatte", Wissenschaft im Dialog gGmbH, Berlin März 2018: Komplette Aufzeichnung

Workshops und Konferenzen

  • Abschlusstagung: Eingriffe in den Körper: Zurückhaltung, Kritik oder Deliberation?, 19.-20.02.2020 in Hamburg
    Download Flyer
  • Workshop: Engaging the Skeptics?! - Epistemic (In)justice, Public Participation, and Moral Expertise in Health Discourses, 4.-5.03.2019 in Göttingen
  • Workshop: Und dann haben sie mich mundtot gemacht." - Narrative, Unsichtbarkeit und Exklusion in diskursiven Arenen, 20.10.2018 in Hamburg
  • Workshop Multimodalität und angewandte Ethik, 16.05.2018 in Innsbruck

Kontakt

Professorin / komm. Institutsleitung

Prof. Dr. Silke Schicktanz

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