Biomedizinische Lebensplanung für das Altern: Werte zwischen individueller ethischer Reflexion und gesellschaftlicher Normen

Institut für Ethik und Geschichte deer Medizin

Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Laufzeit: 2010 – 2013

Bearbeitet von:

  • Dr. Mark Schweda, Lisa Frebel, M.A. (Göttingen)
  • Dr. Kai Brauer, Larissa Pfaller M.A. (Erlangen)

Hintergrund

Die Medizin ist längst zu einem zentralen Bestandteil der menschlichen Lebensplanung geworden. Insbesondere die zweite Lebenshälfte wird zu einer Projektionsfläche entwerfenden und planenden Handelns mit Hilfe der verschiedensten medizinischen Optionen. Dies betrifft keineswegs nur die so genannte "Lifestyle Medizin" (sog. Anti-Ageing), die der Erfüllung individueller Präferenzen dient. Neue diagnostische, therapeutische oder präventive Maßnahmen unterstützen allgemein die Idee eines selbstbestimmten und umsichtig zu gestaltenden Alterns. Dies betrifft etwa auch die Gesundheitsprävention, um Alterskrankheiten zu vorzubeugen, und die vorausschauende Auseinandersetzung mit medizinischen Entscheidungen am Lebensende (wie Patientenverfügungen). Diese neuen Möglichkeiten einer eigenverantwortlichen Gestaltung des Alterns und auch des Sterbens eröffnen dem Einzelnen beispiellose Chancen, stellen ihn aber auch vor neuartige Herausforderungen und Risiken. Die Ambivalenz und Komplexität dieser Entwicklungen ist noch weitgehend unverstanden. Insbesondere fehlen Einsichten zu konkreten Motivationen, moralischen Einstellungen und Erfahrungen der Individuen, die Wünsche nach und Ansprüche auf medizinische Interventionen für Altern und Sterben formulieren.

Ziele

Hier setzt das interdisziplinäre Verbundprojekt Biomedizinische Lebensplanung für das Altern an. Sein Ziel ist es, die wachsende Bedeutung der modernen Biomedizin für die Lebensplanung im Blick auf Altern und Sterben zu analysieren und zu bewerten und auf dieser Grundlage praktische Orientierungen zu gewinnen. Zu diesem Zwecke werden exemplarisch zum einen die präventive Gesundheitsvorsorge (in einem erweiterten Verständnis von Anti-Aging), zum anderen die antizipierende Auseinandersetzung mit Entscheidungen am Lebensende (z.B. Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten) in den Blick genommen. Dabei werden zwei sich einander ergänzende Forschungsperspektiven verfolgt: Die erste bezieht sich auf die Rolle der Medizin für das Altern: Welchen Einfluss übt die moderne Medizin über Prozesse sozialer und kultureller Normierung auf die Wahrnehmung, Bewertung und Planung des Alterns aus? Die zweite Forschungsperspektive fragt umgekehrt: Gibt es einen Zusammenhang zwischen altersspezifischen Wahrnehmungen und Beurteilungen und den Einstellungen zum und Entscheidungen über den Einsatz medizinischer Maßnahmen? Welche soziokulturell vermittelten alternsbezogenen Selbst- und Wertvorstellungen sind dabei jeweils impliziert? Zusammenfassend ergeben sich für das Verbundprojekt folgende leitenden Forschungsziele: 

  • Identifikation von Selbst- und Wertvorstellungen bei Laien und Betroffenen zum Thema Lebensalter im Kontext der Biomedizin mit qualitativ empirischen Untersuchungsdesigns 
  • Soziologische Analyse zentraler Annahmen zum Verhältnis von Lebensalter und Einstellungen zu biomedizinischer Behandlung, Intervention und Modifikation
  • Ethische Analyse der empirisch erhobenen Vorstellungen im Hinblick auf zentrale ethische Konzepte wie Gutes Leben, Verantwortung, und Selbstbestimmung

Die Verfolgung dieser Zielsetzungen erfolgt in der engen interdisziplinären Verzahnung eines sozialwissenschaftlichen und eines bioethischen Teilprojektes. Im sozialwissenschaftlichen Teilprojekt (PI: Frank Adloff, Erlangen) werden alternsbezogene Selbst- und Wertvorstellungen und Planungsperspektiven im Kontext der Gesundheitsprävention, Anwendung von Anti-Aging-Technologien und der Antizipation von Entscheidungen am Lebensende mit Mitteln qualitativer Sozialforschung empirisch erhoben und ausgewertet. So werden die institutionellen Rahmenbedingungen in Experteninterviews mit Vertretern maßgeblicher Institutionen im Gesundheitswesen analysiert. Darüber hinaus sollen individuelle und kollektiv geteilte Perspektiven in Fokusgruppen rekonstruiert werden. Das Datenmaterial wird mit Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse codiert und nach Grundpositionen gebündelt analysiert. Im bioethischen Teilprojekt (PI: Silke Schicktanz, Göttingen) werden die erhobenen Einstellungen im Blick auf drei zentrale bioethische Kategorien – a) Vorstellungen zum Guten Leben, b) Konzeptionen der Verantwortung und c) Verhältnis von Autonomie und Vulnerabilität – analysiert und kritisch reflektiert. Dazu werden mit Blick auf die Fachdebatte ethische Kategorien entwickelt, mit denen sich die empirisch erhobenen Vorstellungen analysieren lassen, und flexibel an das Material angepasst.

Publikationen

  • Schicktanz, S. & Schweda, M. (Hrsg., 2012): Pro-Age oder Anti-Aging? Altern im Fokus der modernen Medizin, Frankfurt am Main/New York: Campus. Link
  • Schweda, S., Pfaller, I., Bauer, K. , Adloff, F. , & Schicktanz, S. (eds.) (2017): Planning Later Life. Bioethics and Public Health in Ageing Societies, Routledge. Link


Zeitschriftenartikel

  • Schweda, M. (2014a): “Wake up! Aging kills!“ – Altersbilder in der Auseinander­setzung um die Anti-Aging-Medizin, in: Jahrbuch für Pädagogik 2014 (1), S. 329-344. [DOI: 10.3726/265764_329] Link
  • Schweda, M. (2014b): „Ein Jegliches hat seine Zeit“ – Altern und die Ethik des Lebensverlaufs, in: Schweda, M. & Bozzaro, C. (Hrsg.): Altern als Paradigma: Neue Zugänge zur Zeitlichkeit des Menschen in der Praktischen Philosophie [= Themen­schwerpunkt der Zeitschrift für Praktische Philosophie 1 (1)], S.253-300. Link
  • Schweda, M. & Pfaller, L. (2014): Colonization of later life? Laypersons’ and users’ agency regarding anti-aging medicine in Germany, in: Social Science & Medicine, 118 (2014), S. 159-165. [DOI: 10.1016/j.socscimed.2014.07.064] Link
  • Schweda, M. & Frebel, L. (2014): Wie ist es, dement zu sein? Epistemologische Probleme und filmästhetische Lösungsperspektiven in der Demenzethik, in: Ethik in der Medizin, (2015) 27, S. 47-57.  [DOI: 10.1007/s00481-014-0332-6] Link
  • Pfaller, L., Schweda, M., Schicktanz, S. (2013), Anti-Aging und die Ethik biomedizinischer Lebensplanung, in: FIPH-Journal 22, S. 22 f. Link
  • Portacolone, E., Berridge, C., Johnson, J.K. & Schicktanz, S. (2013): Time to Reinvent the Science of Dementia. The Need for Care and Social Integration, in: Aging & Mental Health, 18 (3), S.269-275. [DOI:10.1080/13607863.2013.837149] Link
  • Schweda, M. (2013a): Sollten wir das Altern Bekämpfen? Contra, in: Philosophie indebate. Link
  • Schicktanz, S. & Schweda, M. (2012b): The diversity of responsibility: The value of explication and pluralization, in: Medicine Studies 3(3), S. 131-145. [DOI: 10.1007/s12376-011-0070-8] Link


Artikel in Büchern

  • Pfaller, L. & Schweda, M. (2014): Art. „Ewige Jugend“, in: Metzler Lexikon Moderner Mythen, Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler, S. 119-121. Link zum Buch
  • Schweda, M. (2013b): Zwischen universalistischem Egalitarismus und gerontologischem Separatismus. Themenschwerpunkte und theoretische Perspektiven des medizinethischen Alter(n)sdiskurses, in: Seidler, M. / Brandes, S. (Hrsg.): Perspektiven der Alter(n)sforschung, Bielefeld: transcript, S. 53-72.
  • Schweda, M. (2013c): Ethik für eine alternde Gesellschaft? Die Diskussion um die Würde des alten Menschen zwischen Autonomie und Fürsorge, in: H. Baranzke/G. Duttge (Hrsg.), Würde und Autonomie als Leitprinzipien der Bioethik. Grundzüge einer moralphilosophischen Verständigung, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 271-289.
  • Schweda, M. (2013d): Zu alt für die Hüftprothese, zu jung zum Sterben? Die Rolle von Altersbildern in der ethisch-politischen Debatte um eine altersabhängige Begrenzung medizinischer Leistungen, in: G. Duttge/M. Zimmermann-Acklin (Hrsg.): Gerecht Sorgen. Verständigungsprozesse über einen gerechten Einsatz knapper Ressourcen bei Patienten am Lebensende, Göttingen: Göttingen University Press, S. 149-167.
  • Adloff, F. (2012): Zwischen Aktivität und Scham: Eine kultur- und emotionssoziologische Perspektive auf die Anti-Aging-Medizin. In: Silke Schicktanz/ Mark Schweda (Hg.): Pro-Age oder Anti-Aging? Altern im Fokus der modernen Medizin.  Frankfurt/New York: Campus, S. 327-343.
  • Schicktanz, S. & Schweda, M. (2012a): Im Spannungsfeld von Pro-Age und Anti-Aging. Interdisziplinäre Diskurse über das Altern und die Rolle der Medizin, in: S. Schicktanz/M. Schweda (Hrsg.): Pro-Age oder Anti-Aging? Altern im Fokus der modernen Medizin, Frankfurt am Main/New York: Campus, S. 11-21.
  • Schweda, M. & Schicktanz, S. (2012): Das Unbehagen an der Medikalisierung. Theoretische und ethische Aspekte der biomedizinischen Altersplanung, in: S. Schicktanz/M. Schweda (Hrsg.): Pro-Age oder Anti-Aging? Altern im Fokus der modernen Medizin, Frankfurt am Main/New York, S. 23-40.
  • Schweda, M. & Weiß, A. (2012): Probleme der Risikobewertung: Das Beispiel der Hormontherapie und der Telomeraseforschung, in: S. Schicktanz/M. Schweda (Hrsg.) (2012): Pro-Age oder Anti-Aging? Altern im Fokus der modernen Medizin, Frankfurt am Main/New York, S. 269-288.

Kooperationspartner

Über die Verknüpfung ethischer und sozialwissenschaftlicher Forschung in der Verbundstruktur hinaus wird durch die Kooperation mit Wissenschaftlern in den USA (Prof. Dr. Antia Silvers [Philosophie, San Francisco State University], Prof. Dr. Mary Rorty [Medizin, Stanford University Medical Center], Prof. Dr. Leslie Pickering Francis [Philosophie und Rechtswissenschaft, University of Utah], und Dr. Harry R. Moody [Director of Academic Affairs, AARP, Washington, DC.]) auch eine transnational vergleichende Perspektive eröffnet. Schließlich werden die Ergebnisse der ethischen Analyse in einer synoptisch vergleichenden Perspektive gebündelt und durch die methodologische Reflexion der Kombination deskriptiver und normativer Forschungen ergänzt. Die Verknüpfung der Teilprojekte soll zu wissenschaftlich und gesellschaftlich-politisch relevanten Ergebnissen führen, die dem Fachpublikum und der breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen sind und zur interdisziplinären und internationalen Vernetzung einschlägiger Forschungsaktivitäten und der Etablierung von Forschungsstrukturen beitragen.

Kontakt

Professorin

Prof. Dr. Silke Schicktanz

Prof. Dr. Silke Schicktanz

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