Ethische Aspekte bei der personalisierten Rektumkarzinom-Therapie: Erwartungen und Einstellungen von Patienten gegenüber prognostischen Tests mit Biomarkern

Eine sozialempirische und medizinethische Analyse

Im Rahmen der klinischen Forschergruppe (KFO 179/2) „Biological Basis of Individual Tumor Response in Patients with Rectal Cancer”

Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Laufzeit: 2011-2014

Bearbeitet von: Dr. Sabine Wöhlke

Zusammenfassung

Mit diesem Teilprojekt, das neu in das KFO 179/2 Forschungs-Netzwerk für die zweite Förderperiode  eingebunden ist, sollen unterschiedliche ethische und soziale Aspekte der individualisierten Medizin, insbesondere aus Sicht der Betroffenen, eruiert werden. Neue Technologien und biologisch-genetische Informationen haben einen starken Einfluss sowohl auf die Arzt-Patient-Beziehung als auch auf biopolitische und rechtliche Debatten. Die Komplexität der Informationen nimmt zu, so dass die Chancen und Risiken einer Behandlung immer wieder neu eingeschätzt werden müssen. Medizinische Informationen können darüber hinaus auch für andere Kontexte (Familien- oder Lebensplanung, Versicherungen) relevant sein. Der vermehrte Einsatz von Biomarkern, um anhand derer den Verlauf einer Behandlung vorherzusagen, sollen insbesondere die individuelle Lebensqualität des Patienten und gezieltere Entscheidungen ermöglichen. Durch ethische Begleitforschung in einem frühen Stadium der medizinisch/klinischen Forschung ist es möglich, längerfristige Auswirkungen auf das Arzt-Patienten-Verhältnis und das klinische Umfeld zu eruieren und Unklarheiten, sowie denkbare Konflikte und Erwartungen zu identifizieren und ethische Lösungsansätze zu entwickeln. Mittels sozialempirischer qualitativer Methoden der direkten Beobachtung und ausführlicher Interviews mit Patient/innen soll im Rahmen des Projekts deren Ansichten und Erfahrungen gesammelt und analysiert werden. Der weitere Fokus unserer Untersuchung liegt dabei einerseits auf der Rolle der Informations-, Autonomie- und Vertrauensbasis des Arzt-Patienten-Verhältnisses, andererseits auf den Erwartungen und/oder Erfahrungen, die Patienten an die "individualisierte" Behandlung der rektalen Krebstherapie stellen. Im Zusammenhang mit dem Informationsgehalt sollen das Verständnis und der Umgang mit wissenschaftlichen Fakten und Werten dahingehend untersucht werden, wie Patient/innen diese im Entscheidungsfindungsprozess in Bezug zueinander setzen. Durch die Integration sozialempirischer Studien in die medizinische Ethik werden detailliertere Informationen und konkrete Einblicke in die alltägliche Praxis aus Sicht der Patient/innen gesammelt. Die Erforschung und Reflexion der Patientensicht basiert auf Vorarbeiten, welche die Einstellungen von Ärzt/innen und Wissenschaftler/innen gegenüber Pharmakogenomik bei der Rektumkarzinom-Therapie im Rahmen der KFO 179 eruiert haben (2014 abgeschlossenes Promotionsprojekt, Dr. med. Arndt Hessling).  

Zusammenfassend ergeben sich für das Teilprojekt 9 folgende leitende Forschungsziele:

  • Zunächst erfolgt eine Identifikation der Einstellungen von Patient/innen und deren Angehörigen gegenüber prognostischen Tests auf Biomarker für die Bewertung der Krebstherapie über einen längeren Zeitraum.  
  • Dabei werden u.a. folgende vier Schwerpunkte analysiert: Erwartungen für das eigene Überleben und dem Nutzen hinsichtlich der Lebensqualität; Vertrauen oder Misstrauen bezüglich wissenschaftlicher und praktischer Aspekte; Verständnis und Umsetzung von Patientenautonomie innerhalb des Entscheidungsprozesses sowie Verständnis und Interpretation fachwissenschaftlicher Aspekte aus Laiensicht.
  • Darauf aufbauend wird der Umgang mit verschiedenen Werten sowie soziokulturellen Faktoren für den Entscheidungskontext (Geschlecht, Alter, Religiösität) analysiert.
  • Schließlich sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den Einstellungen und Erwartungen aus ärztlicher und aus Patientenperspektive bezogen auf die personalisierte Therapie aufgezeigt werden.

Die Ergebnisse sollen in konkrete ethische Modelle der gemeinsamen Entscheidungsfindung ("shared decision making") von Arzt und Patient integriert werden, um so den Folgen dieser medizinisch-technologische Entwicklung besser Rechnung tragen zu können.  

Abschlussworkshop

Abschlussworkshop „Wie können wir die Medizin individualisieren? Neue Konzepte, Methoden und Strukturen“ 

Dieser Workshop bildete den Abschluss unseres von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Teilprojektes der Klinischen Forschergruppe (KFO 179/2) „Ethische Aspekte bei der individualisierten Rektumkarzinom-Therapie: Erwartungen und Einstellungen von Patienten gegenüber prognostischen Tests mit Biomarkern. Eine sozio-empirische und medizinethische Analyse“ (2011-2014). Der Workshop warf den Blick in die Zukunft, und widmete sich neuen Konzepten, Methoden und Strukturen, die einer individualisierten Medizin gerecht werden können.  

An dem Workshop nahmen wissenschaftliche Expertinnen und Experten aus der Medizin, Medizinsoziologie, Public Health, sowie den Gesundheitswissenschaften insbesondere der Technikfolgenabschätzung teil. 

Downloads:

Publikationen

  • Wöhlke, S. / Perry, J. / Schicktanz, S. (2018). Physicians’ communication patterns for motivating colorectal cancer patients to biomarker research: empirical insights and ethical issues, Clinical Ethics (First Published June 7, 2018, https://doi.org/10.1177/1477750918779304)
  • Perry, J. / Wöhlke, S. / Heßling, A. C. / Schicktanz, S. (2016). Why take part in personalised cancer research? Patients’ genetic misconception, genetic responsibility and incomprehension of stratification—an empirical-ethical examination. European Journal of Cancer Care, 00: 1–12. doi: 10.1111/ecc.12563
  • Publication awarded as GöVIP (Very Important Publications) in the category Clinical Science (Link)
  • Wöhlke, S. / Perry, J. / Schicktanz, S. (2015). Taking it Personally: Patients’ Perspectives on Personalised Medicine and its Ethical Relevance. In: J. Vollman, V. Sandow, S. Wäscher and J. Schildmann, ed., The Ethics of Personalised Medicine: Critical Perspectives. Farnham: Ashgate, 129-147. 
  • Schicktanz, S. (2014): „Individualisierte Patientenversorgung“ Große Hoffnungen und viele offene Fragen. In: Gerechte Gesundheit. Newsletter zur Verteilungsdebatte, 26, 2-3.
    Newsletters Gerechte – Gesundheit (PDF)
  • Schicktanz, S. / Wöhlke, S. (2014). Assessing the personal perspective. In: International Innovation, 1, 18–20. ( Artikel zum Download (PDF) )
  • Hessling, A. (2014). Exploration medizinethischer Implikationen individualisierter Medizin beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom aus Sicht von Ärzten und Forschern, eine empirisch-ethische Untersuchung (Dissertation an der Universitätsmedizin Göttingen)
  • Genetics as Social Practice. Transdisciplinary Views on Science and Culture (2013), gem. mit Barbara Prainsack und Gabriele Werner-Felmayer, ASHGATE. http://www.ashgate.com/isbn/9781409455493
  • Wöhlke, S. / Hessling, A. / Schicktanz, S. (2013). Wenn es persönlich wird in der „personalisierten Medizin“: Aufklärung und Kommunikation aus klinischer Forscher- und Patientenperspektive im empirisch-ethischen Vergleich. Ethik in der Medizin, 25, 3. Themenheft: Schildmann, J., Marckmann, G., Vollmann, J. (Hg.): Personalisierte Medizin. Medizinische, ethische, rechtliche und ökonomische Analysen, 215-222. 
    http://link.springer.com/article/10.1007/s00481-013-0263-7
  • Schicktanz, S (2012). Bioethik und Gesundheitspolitik, Politikberatung im Spannungsfeld von Expertenwissen und Patientenperspektive. In: Weilert K, Hildemann, P. (Hg.): Ethische Politikberatung. Baden-Baden: Nomos, 275-296.
  • Hessling, A. / Schicktanz S. (2012). What German experts expect from individualised medicine: problems of uncertainty and future complication in physician-patient-interaction, Clinical Ethics, 7: 86–93.
    http://cet.sagepub.com/content/7/2/86.abstract
  • Hessling, A. (2012). "Everything better than 50% is better than now.“ In: Dabrock P./Braun, M./Ried, J.: Individualized Medicine between hype and hope. Exploring ethical and societal challenges for healthcare. Münster: Lit-Verlag, 111-135.

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Prof. Dr. Silke Schicktanz

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