Kulturübergreifende Ethik der Gesundheit und Verantwortung

Experten- und Laienperspektiven auf bioethische Dilemmata in Deutschland und Israel

Förderung: German-Israeli Foundation for Scientific Research and Development (GIF)

Laufzeit: 2010-2012

Bearbeitet von:

  • Dr. Julia Inthorn
  • Dr. Nitzan Rimon-Zarfaty

Zusammenfassung

Zwischen Deutschland und Israel gibt es große Unterschiede im Hinblick auf die bioethischen Expertendebatten. Ein Vergleich verspricht daher Einsichten zu kulturellen Differenzen und zum Pluralismus in der moralischen Bewertung bioethischer Dilemmata. Allerdings sind auch Gemeinsamkeiten hinsichtlich bestimmter Prinzipien, moralischer Einstellungen und gesellschaftlicher Konflikte im Kontext biomedizinischer Behandlung und Forschung zu erwarten, und zwar sowohl bei israelischen und deutschen Laien als auch zwischen Laien und Betroffenen/Patient*innen und zwischen Laien und Expert*innen. Diese Überschneidungen könnten eine Basis für die Entwicklung kulturübergreifender ethischer Prinzipien im Bereich der Biomedizin bieten. 

Das Forschungsprojekt "Kulturübergreifende Ethik der Gesundheit und Verantwortung: Experten- und Laienperspektiven auf bioethische Dilemmata in Deutschland und Israel" [Cross-Cultural Ethics of Health and Responsibility: Expert and lay perspectives regarding bioethical dilemmas in Germany and Israel"] (Verantwortliche Wissenschaftler: Aviad E. Raz und Silke Schicktanz, 2010–2012, unter Mitarbeit von Dr. Julia Inthorn und Nitzan Rimon-Zarfaty) und gefördert von der GIF (German-Israeli Foundation for Scientific Research & Development) ergänzt die vergleichende Analyse von Expertendiskursen in Deutschland und Israel um die Erkundung der moralischen Einstellungen von Laien (einschließlich Betroffener). Dabei geht es vor allem um die Rolle der Verantwortungsverteilung bei Entscheidungen am Lebensende (z.B. Therapiebegrenzung, Patientenverfügungen, Sterbehilfe) und Gentests bei Erwachsenen. Die Methodik umfasst neben der Untersuchung von Richtlinien und bioethischen Fachdebatten auch Fokusgruppendiskussionen mit Laien unterschiedlicher Betroffenheit, Religionszugehörigkeit und Nationalität. Zentrales Forschungsinteresse ist es, neben Vorstellungen von Verantwortung, auch Hoffnungen/Befürchtungen, Rechten und Pflichten im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme, Erwägung oder Ablehnung neuer biomedizinischer Möglichkeiten der Lebens- und Familienplanung wie Genetik und Patientenverfügungen zu analysieren und ethisch zu reflektieren. Die Ergebnisse werden außerdem auch im Hinblick auf andere wichtige Einflussfaktoren wie Religion, Gesundheits- und Krankheitskonzepte und marktwirtschaftliches Denken geprüft. 

Das laufende Projekt ist Teil eines übergreifenden, mehrstufigen Forschungsunternehmens, das verschiedene Forschungsprojekte und Workshops umfasst. Vorangegangene Studien von Raz und Schicktanz (2009a,b) untersuchten Einstellungen von Laien (einschließlich Personen, die von genetischen Erkrankungen betroffen sind) bezüglich Gentests bei Erwachsenen. Der Schwerpunkt lag auf Unterschieden zwischen kulturellen und persönlichen Argumentationen sowie zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen. Im Hinblick auf die drei großen Themenkomplexe, die dabei identifiziert wurden – medizinische Technologie / technokratische Medizin, ökonomische Aspekte der Gesundheitsversorgung und persönliche Entscheidungsprozesse – ließ sich auf der kulturellen Ebene ein Gegensatz zwischen beiden Ländern nachweisen, nicht jedoch im Kontext individueller Entscheidungen oder der Belange der von genetischen Erkrankungen Betroffenen. Eine erste Analyse zeigte drei große Themenkomplexe bezüglich genetischer Verantwortung und Risiko, bei denen nationale Unterschiede eingehender zu untersuchen sind: Eigenverantwortung, Verantwortung für Angehörige, Verantwortung der Gesellschaft gegenüber ihren Mitgliedern. Im Kontext von Entscheidungen am Lebensende zeigten unsere früheren Untersuchungen, dass die israelische Politik im Vergleich zu Deutschland bei der moralischen und rechtlichen Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten und der Pflichten der Ärzt*innen restriktiver ist, beispielsweise wenn es um die Unterlassung oder den Abbruch medizinischer Behandlung am Lebensende oder die Umsetzung von Patientenverfügungen geht (Schicktanz / Raz / Shalev, 2010).

Tagungen

„Genetics as Culture in a Consumerist Age“, Internationales Symposium, Oktober 2011, Hotel Grauer Bär, Innsbruck.
Das Programm der Veranstaltung finden Sie hier (PDF)

Das Projekt baut auf Vorabeiten auf:
„Genetics and Society: Practices/Positions, Expert/Public Discourses", BGU, Dezember 2008. Die Arbeit dieses Workshops wurde in einem speziellen Band der Zeitschrift New Genetics and Society (mit herausgegeben von Raz und Schicktanz, 2010) veröffentlicht (Link zur Special Issue)

Publikationen

  • Raz, A. / Schicktanz. S. (2009a). Lay Perceptions of Genetic Testing in Germany and Israel. New Genetics and Society 28(4): 401–414. 
  • Raz, A. / Schicktanz, S. (2009b). Diversity and Uniformity in Genetic Responsibility: Moral Attitudes of Patients, Relatives and Lay People in Germany and Israel. Medicine, Healthcare and Philosophy 12(4): 433–442. 
  • Raz, A. / Schicktanz, S. (2010a). Through the Looking Glass: Engaging in a Socio-Ethical, Cross-Cultural Dialogue. New Genetics and Society 29(1): 55–59. 
  • Schicktanz, S. / Raz, A. / Shalev, C. (2010b). Cultural Impacts on End of Life Ethics: A Cross-Comparative Study between Germany and Israel. Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics, 19,  3, 381-394. 
  • Schicktanz, S. / Raz, A. /Shalev, C. (2010c) The cultural context of patient autonomy and doctors duties: Passive euthanasia and advance directives in Germany and Israel. Medicine, Health Care and Philosophy 13(4), 363–369.
  • New Genetics and Society (2010), special issue: Genetics and Responsibilities: Cultural Perspectives, Public Discourses and Ethical Issues, guest editors: S. Schicktanz and A. Raz.
  • Medicine Studies (2012), thematic issue: Responsibility in Biomedical Practice, guest editors: S. Schicktanz and A. Raz.

Kontakt

Professorin / komm. Institutsleitung

Prof. Dr. Silke Schicktanz

Prof. Dr. Silke Schicktanz

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